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Demut und Dankbarkeit


Demut und Dankbarkeit

sind die beiden Qualitäten mit denen du aus dem Faden der Liebe das Tuch deines Lebens häkelst.

Lass mich mit dem anfangen, was wir im Westen allgemein als "Demut" verstehen: Die egozentrische Fügsamkeit gegenüber einer fremden Macht. Das Unterordnen und Anpassen an ein als übermächtig angesehenes System oder die Anerkenntnis der eigenen Ohnmacht.

Doch das ist nicht die Demut, die dem menschlichen Leben Qualität verleiht. Demut hat viel mit dem Loslassen des Tamagotchis, der  eigenen "Ich-Struktur" zu tun. Diese Ablösung vom weltlichen Ego wird in allen spirituellen Traditionen der Welt angestrebt, denn es ist die Voraussetzung, um wirkliches Glück und Freude zu erfahren. Diese Demut ist kein Ausdruck von Ohnmacht, sondern von Stärke und Kraft.
Ein Beispiel: Eine Mutter ist größer, stärker und weiser als ihr Kind. Sie empfindet es jedoch nicht unter ihrer Würde, dem 
Kind die Windeln zu wechseln, es zu waschen und zu stillen. Sie denkt nicht einmal darüber nach und handelt aus ihrem völligen Einssein mit ihrem Kind heraus. Die Mutter ist als Erwachsene sehr groß gegenüber ihrem Kind und doch beugt sie sich zu ihm herab, wenn sie es füttern oder mit ihm spielen will. Durch die Geste des "Herabbeugens" wird ihre Liebe zum Kind nicht geringer und das Gefühl des Kindes geliebt zu werden, nimmt beträchtlich zu. Das Kind nimmt wahr, wie groß seine Mutter ist und weiß, dass sie leicht auf ihrer Höhe bleiben könnte, während es sich selbst anstrengt zu wachsen. Aber es lernt, das die große Mutter in ihrer Güte das nicht tut. Sie empfindet keine Überlegenheit, nur ein Gefühl der Liebe und der Verbundenheit.
Demut bedeutet also Einssein mit der Welt, die Welt so anzunehmen wie sie ist und damit ohne Widerstand klar zu kommen. Durch diese Demut wird das Herz weit geöffnet und wir können
dem Anderen anstrengungslos dienen. 
Demut ist aber auch das Bewusstsein von der Fehlbarkeit des Menschen. Das Bewusstsein, dass man Fehler und Irrtümer begeht und darauf angewiesen ist, dass einem andere verzeihen und vergeben und man selbst dazu bereit ist dies zu tun. Sie entsteht durch eine tiefere Einsicht in die Fehlbarkeit der eigenen Person.

 

Das ist die Kraft, die aus der Demut selbst entsteht.

Die Vergebung der eigenen Fehler, die sich auf dem Lebensweg anhäufen, lässt in der Folge Dankbarkeit entstehen. Dankbarkeit für das, was gelingt und Dankbarkeit dafür, dass man die Fehler machen durfte. So verändert sich dein Bewusstsein und das ist es, was du der Welt wirklich zu geben hast. Ein Baum, der noch keine Früchte trägt, steht zwar aufrecht, doch erst der mit Früchten beladene Baum neigt seine Äste der Erde zu. Wenn du nur aus Stolz und Ego bestehst, wirst du niemandem etwas von dir geben können. Wenn ein Baum seine Früchte der Welt anbietet, neigt er seine Äste voller Demut herab. Er verschenkt Schatten und Schutz jedem, ohne Ansehen der Person.
Demut setzt ein, wenn man anerkennt, dass es etwas Größeres gibt, als man selbst. Wir nehmen eine demütige Haltung ein, wenn wir uns freiwillig der Führung eines "größeren Systems" hingeben. Demut hat ja nichts mit weichgespülter Akzeptanz von allem was geschieht zu tun, sondern wächst aus der Erkenntnis heraus, dass man in dieser Welt immer nur der Avatar dieses Größeren sein kann. Weil aber jeder Mensch ein Avatar des größeren Systems ist, setzt er automatisch den Willen dieses größeren Systems in der Welt um, sobald er von seiner Ego-Fixierung losgelassen hat.
Der Demütige hat dann begriffen, dass es für ihn ohne dieses „Größere“ weder eine Person, noch Bewusstheit noch eine Welt gibt. Es kommt ihm, im Wissen dieses "im Größeren aufgehoben sein", nicht mehr in den Sinn, sich selbst als wichtig zu nehmen. Er bringt seine Ansichten und Wünsche hervor und wartet mutig ihre Erfüllung ab. In der Demut lernen wir uns selbst kennen und akzeptieren, denn wir akzeptieren die Entscheidung des größeren Systems.

Dankbarkeit entsteht aus einer demütigen Lebenshaltung. Wir verwechseln oft Dankbarkeit mit der Verpflichtung eine empfangene Hilfe wieder auszugleichen. Doch diese Dankbarkeit ist nicht gemeint. Diese Art "Schuldbegleichung" führt nicht in einen positiven emotionalen Zustand, sondern stopft nur ein Erwartungsloch - ein Verpflichtungsgefühl.


Die wirkliche Dankbarkeit ist eine achtsame spirituelle Haltung, deren Praxis dazu führt, jeden Tag etwas glücklicher zu sein. Dankbarkeit bedeutet immer und alles was uns begegnet, als Gabe und Geschenk wahrzunehmen. Als Geschenk von etwas Größerem, in das wir eingebettet sind und das uns liebt. In dieser Haltung wird es unmöglich etwas einfach als selbstverständlich hinzunehmen oder es egozentrisch als eigene Kreation anzusehen. Praktizierte Dankbarkeit lässt uns aufwachen und in eine neue Lebendigkeit hineinwachsen, die uns täglich tausende Gelegenheiten zum Freuen und zum Glücklichsein gibt. Dann entdecken wir auch den Sinn in Situationen, die uns zunächst gar nicht als Geschenke erscheinen.
Selbst in Zeiten, in denen wir körperliche, emotionale und spirituelle Schwierigkeiten durchleben, können wir dann dankbar bleiben. Die Schwierigkeiten, die wir erfahren, sind ja ebenfalls Geschenke des größeren Systems. Auch wenn es uns fast unmöglich ist, dies zu begreifen. Aber wir können uns in diesen schweren Zeiten dafür entscheiden, dankbar zu bleiben und uns dem Leben in seiner augenblicklichen Form mutig zu öffnen.
Dankbarkeit ist das Gewahrsein der Einzigartigkeit des jetzigen Augenblicks. Diese Wahrnehmung stärkt unsere Freude am Leben. Aus Lebensfreude entsteht letztlich unabhängiges Glück. Dieses Glücksgefühl ist dann nicht mehr abhängig von dem, was gerade geschieht. Es ist andauernde Freude.

Weder Dankbarkeit noch Demut schmecken dem Tamagotchi. Oft bockt es auf dem Weg zur Entwicklung dieser Qualitäten wie ein störrischer Esel. Dann hilft es nicht, es weiter anzutreiben, sondern man wird  untersuchen müssen, welche Argumente das Tamagotchi hat,  die gegen die Entwicklung von Dankbarkeit und Demut sprechen. Man wird diese Saboteure finden, ans Licht bringen und auflösen. So entsteht in liebevoller Hingabe eine demütige Haltung, in der sich alles fügt. Mit der Zeit verschwindet der  Eigenwille und die Widerstände. Es bleibt nur das Bewusstsein in etwas Mächtigerem aufgehoben zu sein. Etwas, aus dem heraus man selbst lebt, dem das Leben anvertraut ist und das dieses Leben auf eine harmonischen Art erfüllt und stets zum Besten von allem was ist agiert. So wächst aus der Übung von Demut und Dankbarkeit schließlich Vertrauen und die die Idee der Angst verschwindet. Auf dem Boden des Vertrauens erblühen dann Freude und Glückseligkeit und zeichnen die Muster in das gehäkelte Tuch eines tief erfüllten Lebens.
Dein Herz weiß es!


alles liebe
Hans

 

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