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Realität und Demut

Ich greife einen Satz auf, der mir von einer alten Freundin in Erinnerung geblieben ist:

„Jeder Versuch andere zu verändern, ist die Flucht davor, sich selbst zu verändern. Unzufriedenheit ist nicht das Resultat fremden Verhaltens sondern das Ergebnis unseres eigenen.“

Niemand kann andere verändern, denn jeder andere ist genau das, was er ist und ist genau so richtig, wie er ist. Ob mir das in meiner Wahrnehmung von ihm passt oder nicht, spielt nur insofern eine Rolle, wie ich darin meine eigenen Urteile und Werte wiedererkenne.

Der Wunsch nach Veränderung wurzelt doch nur in der Unzufriedenheit, die sich aufgrund meiner bewerteten Wahrnehmung einstellt. Meine Wahrnehmung bestimmt weitgehend meine Meinung, die sich aus meinen Erfahrungen und Überzeugungen der Vergangenheit bildet. Meine Meinung über etwas ist aber niemals das, was das Etwas in Wirklichkeit ist.

So wenig wie ich weiß, wer ich bin, so wenig weiß ich über den Anderen. In dem Maße, wie ich bereit bin mich selbst zu erkennen, verschwindet der Wunsch, den Anderen oder die Welt zu verändern.

Was wir zurzeit in der Welt „da draußen“ erleben sind die Meinungen, Wertschätzungen und Ängste, die in uns selbst toben. Alle Themen der Welt sind davon betroffen. Egal ob es sich um Politik, Wirtschaft, Umweltschutz oder Medien handelt. Menschen haben all das erfunden und aufgebaut. Sehr selten aus schlechten Absichten, aber Menschen machen eben auch Fehler, vor allem, wenn große Zeiträume im Spiel sind.

 

So wollen wir partout Elektroautos auf die Straße bringen, fragen uns aber nicht, woher der ganze Strom dafür kommen soll. Wir denken nicht an die Umweltzerstörung, die der neue Hunger nach Lithium in entlegenen Gebieten der Erde auslösen wird. Wir wollen Atom-, Gas- und Kohlekraftwerke abschalten, verbrauchen aber pro Jahr immer mehr Energie.

Wir stecken in der Illusion fest, dass unsere Energie-Gier mit „erneuerbarer“ Energie in Form von Windkraft. Solar - und Wasserkraft gedeckt werden kann.

Doch wir machen uns  etwas vor: Je mehr wir haben wollen, desto beschränkter wird sich unser Dasein gestalten.

Genauso wenig haben wir uns bei der Erfindung der Plastiktüte und Plastikflaschen gefragt, wo die nach der Benutzung landen. Wir konnten nicht ahnen, dass sie sich, in einer damals fernen Zukunft, in den Ozeanen ansammeln werden, in den Nahrungskreislauf als Mikroplastik eindringen und uns dann krank machen. Ganz zu schweigen von der Lagerung radioaktiver Abfälle auf der Erde, die für tausende Jahre ganze Landstriche vergiften könnten. Wir roden Jahrhunderte alte Wälder in der Gier nach landwirtschaftlich nutzbarer Fläche und vieles mehr.

 

Wir denken in kurzen, profitorientierten Zeiträumen und opfern dabei das Leben unserer Kinder in der Zukunft. Da hilft auch kein Festkleben an irgendwas. Wir müssen loslassen, denn das Problem liegt viel tiefer. Es liegt in uns. In unserem Denken und den Überzeugungen, Wünschen und Sehnsüchten, die jeder einzelne von uns  in sich trägt. Jeder weiß doch, dass alles zu haben nicht für jeden möglich ist und schon der Versuch alles für alle verfügbar zu machen bereits sämtliche Ressourcen der Erde verbrauchen würde.

Wir sehen, hören und lesen in den Medien, wie sich dieser Raubbau an der Natur auswirkt und gleichzeitig, dass nur einige Wenige davon gewaltig profitieren. Das schürt die Existenzängste,  die Gefühle von Scham,  Wut und Ohnmacht. Es ruft Gedanken an Kampf und Widerstand hervor, aber es gibt keinen greifbaren Gegner. Wir können nichts gegen die globale Klimaveränderung tun. Wir können nicht verhindern, dass die Küstenstädte dieser Erde versinken und große Gebiete für Menschen nicht mehr bewohnbar werden.

Zumindest nicht solange, wie wir diese Ängste in uns tragen.  Aber wir können dafür Sorge tragen, dass wir uns den neuen irdischen Bedingungen anpassen. Unserer Systeme umstrukturieren und dann vielleicht überleben. Die Generationen der nahen Zukunft haben nur dann eine Chance, wenn sie sich anpassen. Etwas, dass sie noch nicht gelernt haben und das allen Generationen extrem schwergefallen ist. Nicht an einer unbegründete Autorität unterordnen, sondern sich der  Autorität des Lebens beugen. Die bisherigen Generationen auf diesem Planeten haben gemeint das nicht tun zu müssen, mit dem Ergebnis, dass nun die nachfolgenden Generationen diese Kröte schlucken müssen.... und das sind unsere Kinder, Enkel und Urenkel.

 

Wenn dann einer daherkommt wie ich und behauptet: Die Ursache all dieser Übel liegt im  Denken der Millionen Menschen, dann ist das eine ungeheuerliche Behauptung und so mancher wird jede Verantwortung weit von sich weisen. Doch alles kommt aus dem Selbst. Alles hat seinen Ursprung im eigenen Wesen, auch das, was man als Leben erlebt. 

Doch ist das wirklich so?

Kaum jemand fragt sich, wer er ist und warum er so denkt und fühlt, wie er es tut. Täte er es, würde er schnell erkennen, dass seine Welt weitgehend aus den Spiegelungen seiner eigenen Ängste, Vorurteilen, Werteinstellungen und Unachtsamkeiten, aber auch seinen Vorlieben, Sehnsüchten und Träumen besteht. Dann könnte er sich bewusst werden, dass er die formende Struktur ist, die diese Welt abbildet und er könnte erkennen, dass es nicht sein persönliches Sein ist, das für das perfekte und harmonische Zusammenspiel seiner Welt sorgt. Er könnte erkennen, dass es etwas Größeres gibt, als ihn selbst. Etwas, in das er eingebettet ist und das ihn fürsorglich umgibt. Das alles im „Außen“ hervorbringt, was in ihm existiert, damit er es „haben“ und erfahren kann. Er würde erkennen, dass das „Außen“ direkt  seinem „Innen“ entspricht, dass es sich um ein Kontinuum oder Hologramm handelt, das aus dem Geist heraus entsteht und aus keinem anderen Grund vorhanden ist, als die unendliche und unbedingte Liebe dessen, was ist, auszudrücken.

Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wird dadurch eine Demut geweckt, die die eigene Hoffärtigkeit beendet. Die wahrgenommene Welt beruhigt sich, die Spiegelungen der Ängste, Vorurteile und Unachtsamkeiten werden weniger. Diese demütige Haltung erlaubt es, sich freiwillig der Führung dessen hinzugeben, was wir traditionell „höheres Selbst“ nennen. Diese demütige Haltung hat nichts mit weichgespülter Akzeptanz von „allem was geschieht“ zu tun, sondern wächst aus der Erkenntnis heraus, dass man in dieser Welt immer nur der Avatar dieses Größeren sein kann. Der Demütige akzeptiert aus freien Stücken, dass es für ihn ohne dieses „Größere“ weder eine Person, noch Bewusstheit noch eine Welt gibt.  Das führt zu einer  inneren Haltung, die sich in der Welt als Demut ausdrückt. Demut bedeutet, sich der engen Grenzen seiner persönlichen Einflussname auf die Abläufe im Leben bewusst zu sein und trotzdem das Menschenmögliche zu tun, um den Einfluss der eigenen Gedanken und Gefühle auf die Welt zu verringern. Das soll nicht bedeuten, überhaupt nicht mehr zu denken und zu fühlen, sondern im Denken und Fühlen eine erhöhte Achtsamkeit walten zu lassen. Sofort zu reagieren, wenn eine Angst, Sorgen oder Problemgedanken auftreten und sich so immer bewusster zu werden, dass die im Menschen angelegte Macht die Schöpfung zu beeinflussen, immer wirkt. Es bedeutet sich darüber bewusst zu sein, dass die als Alltag erlebte Realität aus der gleichen neuronalen Verstrickung stammt, wie das Denken und Fühlen selbst: Nämlich aus der Idee eines individuellen Bewusstseins. Mit dieser Erkenntnis kann man von der Fixierung auf ein persönliches Bewusstsein loslassen und versteht die Notwendigkeit der Gedankenlosigkeit. Nur in der Abwesenheit von Gefühlen und Gedanken können die Einflüsterungen des höheren Selbst gewahr werden und zu langfristig haltbaren Lösungen führen.

Die Anerkenntnis, dass es weder eine eigenständige Existenz, noch ein persönliches Bewusstsein gibt, erlaubt die Hingabe an das Größere und erlaubt, seine eigenen Ansichten und Wünsche nicht mehr als so wichtig zu nehmen, sie als solche zu erkennen und  vorzubringen, aber nicht auf ihrer Erfüllung zu beharren. Demut erlaubt es dem Einzelnen zu akzeptieren, dass es größere Phasen, Bedingungen und Ziele gibt, aufgrund derer die persönlichen Wünsche nicht erfüllt werden können und das, ohne eine Begründung zu erwarten. In der Demut lernen wir uns selbst kennen und akzeptieren, denn wir akzeptieren die Entscheidung des größeren Systems. Indem wir Menschen aufhören unserer Gier nach Macht und Geltung zu frönen um damit unsere  Ohnmachtsgefühle zu übertünchen und aufhören Ängste aus der Vergangenheit heraufzubeschwören, werden sich ihre Spiegelungen in der Welt auflösen und verschwinden. Ein angstfreier Mensch bedarf keiner Bedrohungen und ein freier Mensch keiner Macht. Ein friedlicher Mensch braucht keine kämpferischen Parteien oder Organisationen und niemanden, der für ihn die „Kartoffeln aus dem Feuer“ holt. Ein liebender Mensch braucht keinen Umweltschutz, denn es ist ihm undenkbar, die Natur zu zerstören oder auszubeuten. Er braucht auch kein Militär oder Sozialsystem, denn die Probleme, für dessen Linderung diese Systeme geschaffen wurden, kommen in seinem Bewusstsein nicht vor.

Natürlich ist so eine Veränderung nicht von Jetzt auf Gleich möglich. Vielleicht haben wir als Menschheit auch bereits den Rubikon überschritten und steuern auf unsere selbsterdachte Vernichtung zu, weil nicht mehr genug Zeit bleibt, die problemschaffenden Gedanken und Gefühle auszumerzen. Doch die Zeichen sehen anders aus: Indem wir uns von der lautstarken Propaganda abwenden und sie einfach ignorieren, anstatt dagegen anzukämpfen, nehmen wir ihr die Kraft. Indem wir uns darüber bewusst werden, dass die in uns herrschenden Ängste vor Existenzbedrohungen, National(sozial)ismus, rechtem und linken Terror oder religiös ideologischem Wahn, die Ursachen für deren Existenz im Alltag sind, können wir diese Strömungen abstellen. Wenn wir keine Angst vor dem Nächsten haben, uns nicht durch Andersartigkeit sofort bedroht fühlen und unser Mitgefühl und Menschenliebe wieder in die Welt hinaustragen, werden die Sicherheitssysteme, Grenzkontrollen und Internierungslager überflüssig. Alles was dazu nötig ist, ist eine Rückbesinnung auf das große System, das uns bis zum jetzigen Augenblick durch unser Leben geführt hat. Alles was wir tun müssen, ist Vertrauen in das Leben zu entwickeln. Denn wir bekommen immer, was in uns die stärkste Wirkung hat. Wir können uns für die Angst entscheiden und in einer bedrohlichen Welt leben oder wir entscheiden uns für Liebe und Mitgefühl und bauen alle Sorgen und Ängste ab.

Damit wir unsere sorgenvolle Haltung ändern können, müssen wir unsere eigenes Denken und Fühlen liebevoll untersuchen und herausfinden, wo die Saboteure versteckt sind. Wir werden sie finden, ans Licht bringen und zusehen, wie sie sich auflösen. So festigt sich die demütige Haltung, in der sich alles fügt. In dieser Haltung verschwindet im Laufe der Zeit der Eigenwille und macht Platz für das Gewahrsein des Größeren, Platz für ein Wissen um „Wer ich bin“ und was ich in der Welt ausrichten kann. Gleichzeitig breitet sich das Gefühl  aus, dem Leben vertrauen zu können.  So wächst Vertrauen, so verschwinden die Ideen von Angst und Sorgen und so führt der Weg in eine friedliche, liebevolle Welt. Nur so, denn die Welt, die Realität des Alltags, ist das getreue Abbild der persönlichen Ansichten des Menschen. Nichts weiter. Deshalb kommt es auf dich an und auf das, zu was du dich entscheidest. Dein Herz weiß es schon lange und wenn du darauf hörst, dann sagt es dir, was du zu tun hast

 

Alles liebe

Hans